Der Haferschuh ist wohl der einzige deutsche Schuhklassiker. Besonders beliebt ist er im Süden von Deutschland (vor allem Bayern) und in Österreich. Dort wird er oft auch als Schützenschuh bezeichnet, mancherorts heißt er auch Bundschuh. Während den meisten nichtwissenden der Haferlschuh oft nur als Accessoire beim Wiesnbesuch bekannt ist, steckt doch sehr viel mehr an Geschichte, Tradition und Funktion in dem Schuh als viele denken. Man könnten ihn sogar als den Urgroßvater der heutigen Trekkingschuhe bezeichnen, war er doch ursprünglich als hochfunktionaler Schuh für Jäger und Bauern konzipiert.
Schuhmacher Franz Schratt auf Oberstdorf
Der Ursprung der bayerischen Haferlschuhe geht bis ins Jahr 1803 zurück. Damals wurden vor allem noch Schuhe mit Holzsohlen von der arbeitenden Bevölkerung getragen. Franz Schratt, ein Schuhmacher im wunderschönen Allgäu, muss diese Schuhe wohl recht unbequem und unpraktisch empfunden haben. Gleichzeitig soll er voller Bewunderung für die Gamsen gewesen sein. Diese Tiere konnten sich in den Allgäuer Bergen auch bei steilstem Gelände flink und kontrolliert bewegen. Inspiriert von den Hufen der Gams macht er sich daran einen neuen Schuh zu schaffen der allen bisher gekannten Schuhen überlegen war.
Stich einer Allgäuer Gämse
Heraus kam der Haferlschuh mit seinen charakteristischen Merkmalen wie dem tiefen Knöchelausschnitt, der hochgezogenen Fersenkappe und anderen typischen Merkmalen. Die Sohle war aus Leder und wurde mit Eisennägeln bzw. Eisenbeschlägen am Sohlenrand versehen. So hatte der Träger einen für die Zeit hochfunktionalen „Outdoor-Schuh“ der allem bisher dagewesenem überlegen war. Wie überlegen dieser neue Schuh-Typ war, zeigt der Umstand, dass es bereits Ende des 19. Jahrhundert ca. 800 Schuhwerkstätten gab in denen Haferlschuhe in Handarbeit hergestellt wurden.
Eisenbeschlagener Haferlschuh
Urlauber aus England, Skandinavien und anderen Regionen waren begeistert von dem für sie neuen Schuh-Typ und „exportierten“ die zwiegenähten Kunstwerke in aller Herren Länder. Dabei erwärmten sich wohl auch immer mehr Prominente, Künstler und auch Adelige für die hervorragend gearbeiteten Schuhe aus dem malerischen Allgäu. In angrenzenden Regionen wie dem übrigen Bayern und Österreich kopierten geschäftstüchtige Schuhmacher bald die Herstellung und so stand einer schnellen Verbreitung nichts mehr im Wege. Schritt für Schritt entstanden aus dem Arbeitsschuh auch immer feinere Varianten die in der Stadt oder bei Hof getragen wurden. Auch die Varianten zum Tanzen nur mit Ledersohle und ohne Eisenbeschläge kamen in Mode. Diese weiterentwickelten Formen fanden oft Einzug in die Tracht die durch die ab ca. 1890 entstehenden Trachtenverbänden definiert wurde.
Musikanten-Trachtenschuh Wörgl
So kam es, dass der ursprüngliche Haferlschuh heute vor allem als Trachtenschuh bekannt ist. Dabei war er ursprünglich ein Alltags- und Arbeitsschuh. Als Trachtenschuh wurde er dann weiter verändert und erhielt in manchen Regionen weitere entwickelte Merkmale wie z.B. die Haken oder Musikantenschnallen verpasst. Heute ist leider nur noch ein Bruchteil der Haferl- und Trachtenschuhe hochwertig zwiegenäht gemacht. Die meisten Schuhe sind leider billig verklebte Fernost-Ware. Wir bei Goiser sind stolz darauf unseren Kunden noch qualitativ hochwertige und zwiegenähte Schuhe aus eigener Manufaktur bieten zu können.
Wie der Haferschuh zu seinem Namen kam, kann heute wohl nicht mehr endgültig geklärt werden. Eine Theorie besagt, dass schon vor über hundert Jahren Engländer das schöne Allgäu mit seiner wunderschönen Landschaft zur Erholung besuchten. Begeistert von den nur halbhohen Schuhen die sie dort vorfanden formte sich aus „half-a-shoe“ allmählich beim Eindeutschen das Wort „Haferlschuh“. Die zweite und wohl wahrscheinlichere Theorie besagt, dass die Schäfte der Haferschuhe zu Beginn aus nur einem einzigen Teil, nämlich dem Beinansatz von Kälbern gefertigt wurden. Das hatte den Vorteil, dass keine Naht für die Herstellung des Schafts notwendig war – getreu dem Motto: „wo keine Naht da kann auch nichts aufgehen“. Betrachtet man nun einen solchen Schaft ergibt sich beim Betrachten eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Topf. Im bayerischen wird ein Topf gerne auch „Hafen“ oder als Verkleinerungsform auch „Haferl“ genannt. Und so wurde aus „Haferl“ und „Schuh“ der „Haferlschuh“ - also bedeutet Haferlschuh eigentlich hochdeutsch „Topfschuh“.
Tiefer Knöchelausschnitt
Der tiefe Knöchelausschnitt sorgte früher bei Haferlschuhen im wahrste Sinne des Wortes für eine „reibungslose“ Fortbewegung. Dies hat zwei Gründe: Zum einen wurden meist grobe Schaftleder verwendet deren inneres nicht wie heute mit feinem Kalbleder-Futter kaschiert wurde. Stattdessen scheuerte die raue Fleischseite des Leders an den Füßen des Trägers, der die Schuhe oft barfuß trug. Besonders schmerzhaft musste das wohl bei Schuhen gewesen sein, deren Schaft den Knöchel bedeckte. Zum anderen wollten die Träger in den Allgäuer Bergen maximale Bewegungsfreiheit haben. Ein hochgezogener Schaft hätte hier nur gestört. Die Lösung für beide Probleme bestand darin einen Schuh zu gestalten der eben einen besonders tiefen Knöchelausschnitt hatte, und so komfortabel zu tragen war während er maximale Bewegungsfreiheit garantierte.
Traditionelle Haferlschuhe waren entweder holzgenagelt oder wie heute noch die meisten unserer Goiser-Modelle zwiegenäht.
Hochgezogene Fersenkappe
Diese Machart garantiert höchste Haltbarkeit der Schuhe, hat aber eine relativ unflexible Sohle als Konsequenz. Damit der Träger beim Klettern in den Bergen oder auch beim „normalen“ Abrollen mit der Ferse nicht aus dem Schuh schlupfte, brauchte man eine besonders guten Halt der Ferse. Daher hat der typische Haferlschuh eine Hinterkappe die relativ weit nach oben reicht und eine starke Krümmung nach vorne aufweist. Diese umschließt die komplette Ferse und sorgt damit für sicheren Halt in allen Lagen. Ausserdem gibt Sie dem Haferlschuh im Seiten-Profil ein markantes Aussehen.
Kantige Schuhspitze
Der Haferlschuh war ursprünglich der Arbeitsschuh der Bauern und Jäger. Als solcher wurde er den ganzen Tag lang getragen und musste halbwegs bequem sein. Daher haben traditionelle Haferschuhe in der Schuhspitze relativ viel „Raum“ und zwar sowohl in der Breite als auch in der Höhe. Letzteres bedingt die charakteristische Silhouette der Haferlschuhe im vorderen Bereich des Schuhs.
Die Spitze fällt relativ kantig aus und gibt so maximalen Platz für die Zehen. Lang nach der Geburt der Haferlschuhe entbrannte ein Wettbewerb unter Schuhmachern wer wohl die die kantigste Spitze bauen konnte. Diese überzogenen Spitzen werden im Schuh-Jargon auch „Schiffchen“ genannt – wohl deshalb, weil eine überzogene Schuhspitze an den Bug eines Schiffes erinnert. Ein weiteres Merkmal der Haferschuhspitze ist die sogenannte starke „Sprengung“. Darunter versteht der Schuhexperte, dass sich die Schuhspitze vom Untergrund abhebt – das erleichtert das Abrollen beim Gehen erheblich.
Staublasche und 4-Loch-Schnürung
beim Goiser Füssen
Bei heutigen Schuhen ist die Zunge meist nicht an den Seiten vernäht. Bei feinen Schuhen wie englischen Oxfords oder ungarischen Budapestern ist das auch nicht notwendig. Schließlich wurden diese Schuhe nicht zur Arbeit auf dem Feld oder im Gelände getragen. Anders bei den Haferlschuhen: hier ist die Zunge meist als Staublasche ausgebildet. Dabei kommt ein dünnes Stück Leder zum Einsatz, dass auch an den Seiten mit dem Schaft vernäht ist und beim Binden den typischen Faltenwurf bildet. Auf diese Art und Weise ist der Fuß des Trägers nicht nur vor Staub sondern vor allem vor Nässe geschützt. Bei neueren Modellen ist mittlerweile auch bei dem ein oder anderen Haferl- oder Trachtenschuh eine Zunge anstatt einer Staublasche zu finden.
Haferlschuhe hatten traditionell nur vier Löcher als Schnürung. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sollte die Schnüröffnung so klein wie möglich gehalten werden - war sie doch trotz Staublasche eine Schwachstelle für eintretende Nässe genau wie jedes einzelne Loch. Zum anderen war der Vorteil der wenigen Löcher, dass der Schuh schnell und einfach ein- und auszuziehen war.
Goiser Isny mit Hakenschnürung
Je nachdem wo die Schuhöffnung (Einschnitt) zu finden ist, unterscheidet man beim Haferlschuh zwischen Mittel- und die Seitenschnürung. Ursprünglich waren die ersten Schuhe aus dem Allgäu wohl mittelgeschnürt wie es auch heute dort noch üblich ist. In anderen Regionen wie z.B. Oberbayern setzte sich mehr die seitengeschnürte Variante durch. Auf jeden Fall wurden bei beiden Arten die Schnürsenkel (früher Lederriemen) außen seitlich gebunden, d.h. die Schleife liegt parallel zum Einschnitt seitlich. Später kamen dann andere Schnürvarianten in Mode wie z.B. die sogenannten Hakenösen. Vermutlich wollten damit reichere Bauern zeigen, dass sie sich die damals wertvollen Metallhaken leisten konnten. Heute ist dieser Typ von Schnürung z.B. im Chiemgau recht beliebt.
Ursprünglich wurden Haferlschuhe als Arbeitsschuhe zur normalen Arbeitskleidung auf dem Feld oder im Wald getragen. Später fanden sie Einzug in die Trachtenmode und wurde sogar hoffähig. Wir bei Goiser meinen, dass gute Haferlschuhe Ihrem Erbe als Universalschuh treu bleiben sollten. Daher gehören hochwertige Haferlschuhe genauso zu einer traditionellen Tracht wie Sie auch zur legeren Jeans oder sogar zum Anzug passen.